To the west, to the west
I haven´t got there yet.
Nach etwa zehn Tagen in Bolivien bin ich heute in Peru angekommen. Ich bin in Puno am Titicacasee, von wo aus es morgen mit dem Flieger Richtung Lima geht, um meinen Freund Adi abzuholen, der ein paar Stunden später am Flughafen eintrudeln wird. Danach haben wir ein paar Tage, um die Hauptstadt Perus kennenzulernen. Viel Gutes habe ich noch nicht gehört, aber man wird´s sehen. Am zweiten Februar geht es dann für eine Woche auf die Osterinsel. An der Stelle nochmal der Hinweis an alle, die von den „Osterinseln“ sprechen: das scheint ein Phänomen in Deutschland zu sein, dass die Leute glauben, es handele sich um eine Inselgruppe. In Englisch heisst es „Easter Island“ und in Spanisch „Isla de Pascua“, beides zurecht im Singular! ;-)
Nachdem ich Anfang Januar wieder in Iguazú gestrandet bin, habe ich mir mit Heiner nochmal die Fälle angeschaut, diesmal nur die argentinische Seite. Lustiger Zwischenfall: Wie ich ja schon geschrieben habe, laufen dort zuhauf Ameisenbären rum, die gerne das Essen der Touristen stibitzen. Ein Argentinier machte Heiner darauf aufmerksam, dass er doch bitte seine Tasche nicht unbeaufsichtigt stehen lassen sollte. Der erwiderte, dass es kein Problem sei, weil dort kein Essen drin ist. Der Mann schüttelt den Kopf und meint in etwa: „Nicht wegen den Bären, sondern wegen den Bolivianern“. So viel zum Thema gute Nachbarschaft und Vorurteile. Ausserdem waren wir in einer Art Aufzuchtstation für Tiere der Umgebung, was ein sehr schönes Erlebnis war. Dort habe ich dann auch endlich einen Tukan zu Gesicht bekommen. Diese Tiere gibt es hier zwar zuhauf in der freien Wildbahn, allerdings befinden sie sich fast nur in Höhen von 13 bis 18 Metern, so dass man sie kaum zu Gesicht bekommt.
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Riesentukan in der Tieraufzuchtstation |
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Sonnenuntergang in Corrientes, kurz vor der Abfahrt nach Salta |
Nachdem Iguazú endgültig abgehakt war, ging es weiter nach San Ignacio, immer noch im Bundesstaat Misiones. Hier wurden vor einigen Jahrhunderten Missionen von Jesuitenorden gegründet, um die dort lebende indigene Bevölkerung der Guaraní vor Versklavung zu schützen. Abends, nach Einbruch der Dunkelheit, haben wir die Mission besichtigt und bekamen die Geschichte anhand eines beeindruckenden Lichtspiels näher gebracht. Am Tag danach ging es mit kurzem Zwischenstopp in der wenig touristischen Stadt Corrientes über Nacht nach Salta. Hier hat sich Heiner entschieden, für eine Woche zurück nach Córdoba zu fahren, ich wurde wiedermal krank und lag ein paar Tage flach. Bevor das passierte, haben wir zwei Mädels kennengelernt, mit denen wir dann auch einen Tag verbracht haben, die Stadt zu erkunden. Mit einer von beiden bin ich dann auch weiter Richtung Jujuy aufgebrochen. Louise ist Dänin, hat aber in Deutschland studiert, spricht also fliessend deutsch. Auch wenn mein Englisch sicher nicht der letzte Mist ist und ich mich auch mal eine Zeit lang über andere Themen als Reisen unterhalten kann, stösst man doch irgendwann an seine Grenzen und dann ist man froh, sich in seiner Muttersprache unterhalten zu können, gerade, wenn man länger zusammen unterwegs ist. In zwei Tagen Jujuy haben wir nicht sehr viel geschafft, haben aber immerhin einen Ausflug nach Purmamarca gemacht und waren dort in den Bergen unterwegs. Was für Farben! Was für eine Gegend!
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Irgendwo in der Quebrada de Humahuaca, ganz im Norden Argentiniens |
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Wandern in Purmamarca |
Heiner hatte sich angekündigt, unsere kleine Reisegruppe für die nächste Zeit zu vergrössern, er kam über Nacht nach Jujuy und von dort ging es direkt etwa fünf Stunden weiter mit dem Bus zur bolivianischen Grenze, nach La Quiaca. Ursprünglich war geplant, mit dem Bus nach San Pedro de Atacama in Chile zu fahren, dieser war aber für eine komplette Woche ausgebucht, so entschieden wir uns, definitiv den Weg nach Peru durch Bolivien zu machen, was sich im Nachhinein als Glücksgriff herausstellte. Nach meiner allerersten Grenzüberquerung zu Fuss, die hier wegen der argentinischen Formalitäten auch mal gut und gerne vier Stunden dauern kann (zum Vergleich: in Iguazú waren es etwa fünf Minuten), wurden wir im schrulligen Grenzhäuschen Boliviens direkt von einem Plakat angelacht, dass den Präsidenten Evo Morales schmückte, der hier allgegenwärtig ist. Trotz der fast durchgängig indigenen Bevölkerung ist er der erste indigene Präsident des Landes und anscheinend sehr beliebt. Eine Frau in einem Geschäft zeigte uns ihr Bild und sagte stolz: „Mi Presidente!“ Nun sind wir in Villazón, der bolivianischen Nachbarstadt des argentinischen La Quiaca. Was sofort auffällt: Die Menschen hier sind sehr anders. Die Argentinier sind temperamentvoll, im Zentrum des Landes und in der Hauptstadt mehr als hier im Norden, wohingegen die Bolivianer im Allgemeinen sehr zurückhaltend sind, was manchmal unsympathisch wirkt, wenn man an anderes gewöhnt ist. Bedankt man sich bei einem Argentinier, schmettert der erstmal freundlich lächelnd ein „de nada“ hinterher, vom Bolivianer darf man keine Reaktion erwarten. Natürlich merkt man auch sofort den Wohlstandsunterschied; Bolivien ist das ärmste Land Südamerikas, Argentinien eines der reichsten.
Abends ging es dann noch weiter nach Túpiza, drei Stunden Richtung Norden. Man wird an allen Ecken und Enden vor Busfahrten in Bolivien gewarnt: Vorsicht! Nicht nachts fahren! Der Grund: Bolivien hat bei einer dreimal so grossen Fläche wie Deutschland nur wenige tausend Kilometer geteerte Strasse, meist geht es über einfache Sandpisten und das in den Anden! So war die erste Busfahrt auch gleich recht spektakulär, halb Sandpiste, halb geteert, durch einen komplett unbefestigten Tunnel, der eher einer Höhle glich und am Horizont ein gewaltiges Gewitter als ständigen Begleiter. Wir haben es aber niemals eingeholt. Da es teilweise hunderte von Kilometern keine künstliche Beleuchtung gibt, sieht man die Gewitter meilenweit.
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Auf einem Spielplatz in La Quiaca, an der bolivianischen Grenze |
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Heiner und Louise in Yavi, einem kleinen, abgelegenen Dorf ganz aus Lehmhäusern |
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Unsere erste Busfahrt in Bolivien |
In Túpiza angekommen machten wir uns auf die Suche nach einem Tourveranstalter für Wüstentouren. Ab hier sollte es Jeepausflüge geben, vier Tage lang durch die Wüsten des Südwestens bis zum Salar de Uyuni, der grössten Salzwüste der Welt, halb so gross wie Hessen. Nachdem wir fündig wurden, starteten wir eben diese Tour morgens um halb neun. Wir, das waren zu diesem Zeitpunkt immer noch Louise, Heiner und ich, zusammen mit zwei Australiern, Rupert und Tom, mit denen wir die nächsten Tage verbrachten. Vorne sassen einmal der Fahrer (logisch, oder?) und eine Köchin, die uns in den nächsten Tagen wunderbares Essen zaubern sollte. Wir hatten alle nicht viel erwartet, aber es gab mittags und abends eine warme Mahlzeit, teilweise mit Vorsuppe, Gemüseplatte, gutem Fleisch und einer Extrawurst in Form von vegetarischem Essen für Louise, alles in einer Superqualität. Da waren wir alle wirklich platt. Vor allem, weil die Tour nichtmal mein Budget für die Tage gesprengt hat und es wirklich unglaublich günstig war, was auch an Bolivien allgemein sehr angenehm ist.
Die Tour selbst war dann ein echtes Highlight und wirklich unvergesslich. Es gab unglaubliche, unwirkliche, bunte Berg- und Seelandschaften zu sehen, viele Lamas und Flamingos, Geysire, bizarre Felsformationen, eine endlos weite Salzwüste, einen Eisenbahnfriedhof mit 100 Jahre alten Loks und vieles mehr. Es war wirklich atemberaubend schön. Wir waren mit einem 7-Sitzer unterwegs, 1300 Kilometer bei teilweise 10-20 km/h, sind morgens zwischen vier und sechs Uhr aufgestanden, haben den Sonnenaufgang bei Eiseskälte an einer Lagune gesehen und in einer heissen Quelle gebadet, in Refugios auf 4300 Metern ohne Dusche und mit drei Stunden Strom am Tag übernachtet und konnten einfach mal abschalten von jeglicher Zivilisation; Kartenspiel statt Internet, Bezinkanister auf dem Dach statt Warten auf die nächste Tankstelle. Drei Tage lang gab es nirgends etwas zu kaufen, so dass es dann schon fast ein Schock war, als das letzte Hostel (aus Salz!) einen kleinen Kiosk hatte. Wir haben aber alle widerstanden und noch ein wenig die Abgeschiedenheit geniessen können. Ich bin ja kein Freund von inflationär gebrauchten Superlativen, aber hier hat wirklich alles gestimmt und es war einfach eine unglaubliche Erfahrung, die nur schwer in Worte zu fassen ist. Jeder Südamerikareisende, der Bolivien links liegen lässt, macht meiner Meinung nach einen gewaltigen Fehler.
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Zwei anscheinend beleidigte Lamas |
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Unser erstes Mittagessen auf der Tour (v.l.: Tom, Rupert, ich, Louise, Heiner) |
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Ein kleiner Sandsturm inder Ferne |
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Tea-Time, kurz nach Ankommen im Hostel gegen fünf Uhr |
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Lama mit Schmuck |
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Mini-Stonehenge |
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Bloss nicht ins Wasser fallen! Mein erstes Real-Life-Jump´n Run! |
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"nur Stille... und Weite..." |
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Vor der "Laguna Azul", der blauen Lagune |
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Sonnenaufgang an irgendeiner anderen Lagune |
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Naturgeformter Felsen in Form eines Baumes |
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Ziemlich zahme Flamingos... |
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... und ein nicht ganz so zahmer Wüstenfuchs |
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Die letzte Unterkunft, ein Salzhostel. Hier gab es endlich wieder Duschen! |
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Sonnenaufgang im Salar de Uyuni, der grössten Salzwüste der Welt |
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Heiner und Louise stehen auf Wizard! |
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Hier in der Wüste stehen lauter überdimensionale Matebecher und Gläser herum! |
Noch am Abend des letzten Tages ging es weiter Richtung Potosí, die auf 4000 Metern die höchstgelegene Grossstadt der Welt ist. Die Stadt ist bekannt für ihre Minen, in denen heute noch Silber und andere Edelmetalle gefördert werden und das unter sehr widrigen Umständen, von denen wir uns selbst überzeugen konnten. Enge, niedrige Schächte, verpestete Luft, regelmässige Unfälle. Die Leute dort, teilweise Kinder, arbeiten auf eigene Rechnung, viele von ihnen halten es nur wenige Jahre aus. Die Touristen sind angehalten, ein paar Präsente für die Minenarbeiter mitzubringen, so kann man vor dem Betreten der Mine Leuchtmittel, Helme, Wasser, hochprozentigen Alkohol oder auch Dynamit kaufen. Letzteres ist hier für jedermann frei erhältlich, was einzigartig auf der ganzen Welt ist. Es ist hier aber nunmal Alltagsgegenstand für die vielen Minenarbeiter, die kein Unternehmen im Rücken haben, das sie mit Arbeitsmitteln versorgt.
Die Stadt selbst hat auf jeden Fall ihren Charme und es ist noch viel zu sehen vom einstigen Reichtum, auch bei den Leuten. Frauen in Hosenanzügen habe ich sonst nirgends in Bolivien gesehen. Der Kontrast ist natürlich auch da. Im einen Moment läuft ebenjene Frau an einem vorbei, im anderen betteln gerade mal siebenjährige Kinder um Geld.
In Potosí haben Heiner und ich uns dann von Louise verabschiedet, die noch ein bisschen mehr Zeit in Bolivien verbringen wird und erstmal Richtung Sucre aufbricht. Glücklicherweise gibt es aber ein Wiedersehen im Februar, wenn wir zusammen mit Adi nach Cusco reisen. Heiner und ich sind derweil Richtung La Paz losgezogen, für das wir leider keine Zeit übrig hatten. Stattdessen sind wir direkt weiter zum Titicacasee weitergefahren.
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Ich in der Mine in Potosí |